Start   Bekämpfung COVID-19   Das Generalkonsulat   Konsularischer Service   Bildung und Kultur   Wirtschaft   Willkommen
in China
 
 Kontakt 
  Start > Bilateraler Austausch
Ich halte nichts davon

2008-04-11

Soll man Olympia boykottieren? Helmut Schmidt über die Entscheidung, 1980 nicht nach Moskau zu fahren, und seine Meinung zur aktuellen Debatte lehnt einen Olympia-Boykott ab: Ex-Bundeskanzler Helmut Schmidt

Die ZEIT: Lieber Herr Schmidt, erinnern Sie sich an das Olympiajahr 1980 und an einen hoffnungsvollen deutschen Fechter namens Thomas Bach?

Helmut Schmidt: Es gab eine Menge herausragender deutscher Sportler, die Medaillenchancen hatten; Bach war nicht der Einzige. Der Langstreckenläufer Wessinghage wäre auch einer gewesen.

ZEIT: Dieser Bach ist heute der Chef des Deutschen Olympischen Sportbundes und erinnert sich gut, wie er bei Ihnen im Kanzleramt war. Sie hatten eine Karte aufgespannt, auf der russische Panzer und Raketen zu sehen waren. Damit versuchten Sie, Bach und den anderen Sportlern klarzumachen, warum ein Boykott richtig sei.

Schmidt: An unsere Situation erinnere ich mich sehr genau. Kurz nach Weihnachten 1979 war die Sowjetunion in Afghanistan einmarschiert. Ich hörte, dass es in Washington Stimmen gab, die zur Strafe die Olympischen Spiele in Moskau boykottieren wollten. Ich hielt das für dummes Zeug und rief den amerikanischen Präsidenten Jimmy Carter an. Er sagte, da sei nichts dran. Daraufhin habe ich den deutschen Sportverbänden gesagt: Ihr könnt fahren. Nach nicht allzu langer Zeit rief mich Carter an und sagte, er hätte seine Meinung geändert, die Amerikaner würden nicht nach Moskau fahren – und wir sollten das auch nicht.

ZEIT: War das ein Befehl?

Schmidt: Er hat auf alle Nato-Partner in Europa Druck ausgeübt – auch auf die Engländer und die Franzosen. Die haben aber gesagt: »Ihr könnt uns mal«, und sind trotzdem gefahren. Nur drei haben nachgegeben. Das waren die Länder, die an ihrer Grenze unmittelbar mit der sowjetischen Militärmacht konfrontiert waren, nämlich Norwegen, die Türkei – und die Bundesrepublik.

ZEIT: Hatten Sie wirklich keine Wahl?

Schmidt: Ich hatte zu der Zeit ohnehin erhebliche Auseinandersetzungen mit den Amerikanern – denken Sie nur an den Konflikt über die Neutronenbombe oder über die Finanz- und Währungspolitik – und kam mit großen Bauchschmerzen zu dem Ergebnis, dass wir Deutsche uns einen zusätzlichen Konflikt mit Amerika nicht leisten können.

ZEIT: Aber Sie finden den Boykott bis heute falsch?

Schmidt: Es hat nichts gebracht. Die russischen Fernsehzuschauer haben gar nicht gemerkt, dass ein paar Staaten gefehlt haben. Um auf Herrn Bach zurückzukommen: Ich habe damals wohl den Sportfunktionären erklärt, dass ich die amerikanische Verteidigungsbereitschaft im Falle einer sowjetischen Pression auf uns nicht gefährden durfte – die verdammten sowjetischen SS-20-Raketen, jede mit drei Atomsprengköpfen bestückt, waren noch auf deutsche Städte gerichtet.

ZEIT: Vielleicht liegt es an der Erfahrung von damals, dass Herr Bach heute nichts von einem China-Boykott hält.

ZEIT: Soll denn jeder Schurke die Chance bekommen, sich vor der Weltöffentlichkeit schön darzustellen?

Schmidt: Nein. Gleichwohl würde ich es begrüßen, wenn der internationale Sport von politischen Einflüssen so frei wie möglich bliebe.

ZEIT: War es naiv, zu glauben, dass Olympia mehr Demokratie und Menschenrechte nach China bringen würde?

Schmidt: Derartige Annahmen waren in der Tat naiv.

ZEIT: Warum sind Sie bei diesem Thema so gereizt?

Schmidt: Gereizt bin ich nicht. Was mich aber stört, ist der missionarische Wahn mancher amerikanischer Politiker, es sei ihre und die Aufgabe ihrer Verbündeten, überall auf der Welt ihre Vorstellung von Ordnung durchzusetzen.

ZEIT: Die Vorstellung von Demokratie ist nicht so schlecht.

Schmidt: Richtig. Gleichwohl halte ich fest an dem für jede Regierung geltenden völkerrechtlichen Grundsatz der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten eines souveränen Staates.

ZEIT: Welche Sportart werden Sie bei den Spielen in Peking am liebsten sehen?

Schmidt: Fußball. Es hat übrigens lange gedauert, bis Fußball zu einer olympischen Disziplin geworden ist.

Das Gespräch führte Giovanni di Lorenzo

Quelle: Die Zeit

Suggest To A Friend
  Print