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Spiegel-Gespräch mit Vizeaußenministerin Fu Ying

2011-08-23
 

SPIEGEL: Frau Ministerin, kein Land bewundert der Westen derzeit so sehr wie China - und kaum eines macht ihm so viel Angst mit seinen Tarnkappenflugzeugen, seinem ersten Flugzeugträger. Wozu braucht China so viel Rüstung?

Fu: Das Auslaufen unseres ersten Flugzeugträgers in der vorvergangenen Woche war ein aufregendes Ereignis. Das Volk hat darauf gewartet und betrachtet das als natürlichen Schritt eines wachsenden chinesischen Militärs, selbst wenn es nur ein reparierter, gebrauchter Flugzeugträger ist, der für wissenschaftliche Zwecke und Training genutzt wird und der weit davon entfernt ist, voll einsatzfähig zu sein. China liegt da hinter anderen Ländern zurück, die USA beispielsweise besitzen seit langem eine hochentwickelte Flugzeugträger-Flotte.

SPIEGEL: Wären nicht andere Dinge vordringlicher, als das Militär-Budget aufzustocken?

Fu: Die Entwicklung unserer Streitkräfte kommt lange nach anderen Dingen, nach dem Wohlergehen des Volkes, nach der Verbesserung des Lebensstandards. Die Generation meiner Tochter hat als erste keinen Hunger mehr erlebt, das ist ein unglaublicher Fortschritt. Ihre Besorgnis gegenüber dem chinesischen Militär scheint mir stark vom stereotypen Blick des alten Blockdenkens geprägt. Sie haben zwar Vertrauen, wenn andere Länder, Ihre Alliierten wie Amerika und Frankreich, Flugzeugträger besitzen, fühlen sich aber unwohl, wenn auch wir einen haben.

SPIEGEL: Wie weit wird China gehen, um seine Interessen zu verteidigen? Im Streit um die Hoheit im Südchinesischen Meer sind immer schärfere Töne zu hören...

Fu: Auch wir fragen uns, warum es jetzt zu dieser starken Rhetorik kommen muss, obgleich wir uns ja mit den beteiligten Ländern seit langem im Dialog befinden. Aber es ist ein Streit der Worte, und entscheidend ist, dass der Schiffsverkehr im Südchinesischen Meer friedlich bleibt, dass es keinen Krieg gibt.

SPIEGEL: Die Amerikaner zweifeln offenbar an Ihren Absichten. Pakistan soll China Zugang zum Wrack des an der Operation gegen Osama Bin Laden beteiligten Hightech-Helikopters gewährt haben. Stimmt das?

Fu: Sowohl China als auch Pakistan haben das dementiert. Wichtiger scheint mir die Frage: Sind China und die USA Feinde? Werden wir Krieg haben? Bereiten wir einen Krieg gegeneinander vor? Wir betrachten das jedenfalls nicht so. Es ist nicht besonders freundlich, dass die USA ein Waffenembargo gegen China aufrechterhalten. Wir haben nicht die Absicht, die USA herauszufordern, und wir betrachten die USA auch nicht als Bedrohung für uns. Der Westen neigt dazu, die alte Schablone des Kalten Krieges auf China anzulegen. Das verwundert China sehr.

SPIEGEL: Viele Deutsche misstrauen China und betrachten Ihr Land eher als Rivalen denn als Partner. Verstehen Sie das?

Fu: Das beschäftigt mich sehr. Wenn man grundsätzlich anerkennt, dass zahllose Menschen in China aus der Armut geführt wurden, dann muss man akzeptieren, dass China auch irgendetwas richtig macht. Man muss dann wohl auch akzeptieren, dass es unterschiedliche politische Systeme gibt. Der Westen glaubt, dass nur sein System funktioniert. Das mag für manche Länder so sein, aber wie man an der jüngsten Finanzkrise sieht, haben auch sie gelegentlich Schwierigkeiten. Der Westen ist hochnäsig geworden. Demokratie allein bringt eben noch kein Essen auf den Tisch. So ist die Wirklichkeit.

SPIEGEL: Chinas Führung erscheint geheimnisvoll abgeschirmt, selbst langjährige Beobachter rätseln, wie politische Entscheidungen zustande kommen. Wundert es Sie da, dass viele den Absichten Chinas misstrauen?

Fu: Das chinesische Modell ist aus Chinas Geschichte entstanden, es gründet auf seiner eigenen Kultur und unterliegt einem ständigen Reformprozess, zu dem auch die Stärkung des demokratischen Entscheidungsprozesses gehört. Um die richtigen Entscheidungen zu treffen, muss man den Menschen zuhören, ihre Kritik hören. Keine Regierung überlebt lange, wenn sie die Verbindung mit dem Volk verliert. Und wir haben einen durchaus kritischen Blick auf uns selbst.

SPIEGEL: Was der Westen am chinesischen Modell vermisst, sind Transparenz und Rechtsstaatlichkeit.

Fu: Es sind doch westliche Regierungen, die derzeit Probleme haben. Wir verfolgen genau, was im Westen geschieht. Wir versuchen zu verstehen, warum so viele Regierungen Fehler machen. Warum geben sie Versprechen, die sie nicht einlösen können? Warum geben sie mehr Geld aus, als sie haben? Stagniert der Westen seit Ende des Kalten Krieges? Oder ist er einfach nur selbstgefällig geworden?

SPIEGEL: Demokratien sind kompliziert und gegenüber straff geführten Systemen mitunter im Nachteil. Fühlen Sie sich überlegen?

Fu: Überlegenheit ist nicht das Wort, das wir benutzen würden. Chinesen sind bescheiden. Wir respektieren Ihre Erfolge und lernen von Ihnen.

SPIEGEL: Der Fall des kürzlich inhaftierten Künstlers Ai Weiwei, der Verbindungen nach Berlin unterhält, wurde in Deutschland als Provokation empfunden. Geschah es eigentlich bewusst, dass er kurz nachdem Außenminister Guido Westerwelle mit chinesischen Offiziellen eine Ausstellung in Peking eröffnet hatte, festgenommen wurde?

Fu: Sie halten sich wirklich für sehr bedeutend. Genau deshalb denke ich, Sie sind hochnäsig. Warum sollte ein Land wie China in innenpolitischen Fragen einen Zusammenhang mit dem Besuch eines europäischen Außenministers herstellen? Der Fall, den Sie erwähnen, ist eine juristische Angelegenheit, nichts weiter, und ich habe kein Interesse, weiter darüber zu reden.

SPIEGEL: Wenn das ein juristischer Fall ist, warum wurde Ai Weiwei dann nicht öffentlich angeklagt, sondern verschwand einfach für 81 Tage? Der Vorwurf der Steuerhinterziehung scheint wenig überzeugend.

Fu: Wenn Sie so großes Interesse an diesem Fall haben und glauben, Gesetze seien gebrochen worden, können Sie das gern vorbringen. Wir leiten es an die zuständigen Behörden weiter. Ihr Blick auf China ist sehr verengt und negativ, das ist der Grund, weshalb wir mit Ihnen nicht gern über Menschenrechte sprechen. Unser Verständnis bezieht sich auf die Uno-Charta, sie garantiert politische Rechte, das Recht auf Leben und das Recht auf Entwicklung. Aber für Sie existieren Menschenrechte nur im Zusammenhang mit Einzelpersonen, die staatszerrüttend wirken oder Gesetze brechen.

SPIEGEL: Manche dieser Menschen stehen symbolisch für Hunderte andere.

Fu: Aber rücken Sie das bitte ins Verhältnis! Hier leben 1,3 Milliarden Menschen. Vom ersten Tag an, seit wir mit dem Westen Beziehungen aufnahmen, reden wir über Menschenrechte. Heute wird das westliche Verständnis der Menschenrechte als Instrument gegen uns genutzt, egal wie sehr sich China verbessert, egal wie intensiv wir auch daran arbeiten.

SPIEGEL: Können Sie etwas Konkretes zum Fall Ai Weiwei sagen?

Fu: Gegen ihn wird ermittelt. Er ist jetzt nach Hinterlegung einer Kaution unter Auflagen entlassen. Kein weiterer Kommentar.

SPIEGEL: Während die arabische Welt einen Diktator nach dem anderen verjagt, erleben kritische Journalisten, Anwälte und Menschenrechtler hier eine Welle der Repression, manche sprechen schon von einem "Chinesischen Winter". Fürchtet China eine Handvoll Aktivisten?

Fu: Die Ereignisse im Nahen Osten haben auch bei uns Aufmerksamkeit erregt. Allerdings sehe ich keinerlei Bezug zu China, außer der alten Gewohnheit westlicher Analysten, alles, was in der Welt nicht gut läuft, irgendwie mit China in Zusammenhang zu bringen. Wie kommen Sie darauf, dass die chinesische Gesellschaft dafür anfällig sein könnte? 87 Prozent der Chinesen sagen nach einer Umfrage des Pew Research Center von 2010, ihre Regierung tue das Richtige. Das kann die US-Regierung leider nicht von sich behaupten.

SPIEGEL: China reagiert stets empfindlich, wenn sich westliche Politiker mit dem geistlichen Oberhaupt der Tibeter, dem Dalai Lama, treffen. Anderen Ländern empfehlen Sie, Streitfälle im Dialog zu lösen. Warum gelingt es China nicht, mit dem tibetischen geistlichen Führer eine Einigung zu finden?

Fu: Unsere Schwierigkeiten mit dem Dalai Lama betreffen seine politischen Ansichten und Forderungen. Wer seine Webseite liest, versteht sofort, dass er ein unabhängiges Tibet anstrebt.

SPIEGEL: Dem widerspricht er eindeutig, er möchte nicht Separation, sondern mehr Autonomie.

Fu: Tibet ist ein Teil Chinas. Aber natürlich ist die Tür für den Dialog immer offen, er ist immer willkommen.

SPIEGEL: Der Dalai Lama hat sich von seinen Ämtern offiziell zurückgezogen. Ist das nicht ein guter Zeitpunkt, Frieden zu schließen?

Fu: Dass er sich von seinen politischen Ämtern zurückzieht, belegt doch nur, dass er sich offenbar als König und Gott in einem betrachtete, also als die Macht in Tibet. Aber diese Zeiten sind vorbei. Tibet entwickelt sich endlich, es geht der Region wirklich immer besser. Wir werden ja sehen, ob sich der Dalai Lama nun auch von seinen politischen Ansprüchen lösen kann.

SPIEGEL: Nicht nur in Tibet schreitet die Entwicklung rasend voran. Während der Westen bis zum Hals in Schulden steckt, erreichen Sie traumhafte Wachstumsraten. Hat der Kommunismus den Kapitalismus am Ende doch noch besiegt?

Fu: Wir sind doch nicht die Sowjetunion. Den ganzen Kalten Krieg lang sind sich der Westen und die Sowjetunion gegenseitig an die Gurgel gegangen, jeder sehnte das Ende des anderen herbei, das war doch euer strategisches Ziel. Das hat aber mit uns nichts zu tun.

SPIEGEL: China hielt Ende Juni US-Staatsanleihen im Wert von 1165 Milliarden Dollar - wirtschaftlich ist China schon heute eine Supermacht. Was bedeutet das für die politischen Machtverhältnisse?

Fu: Viele sagen, die Balance der Weltmacht verschiebe sich von West nach Ost. Wir glauben eher, dass sich die Macht einfach verteilt. Die bestehende Weltordnung, wie sie nach dem Zweiten Weltkrieg entstand und etwa einer Milliarde Menschen zum Vorteil gereichte, muss reformiert werden. China ist nur eines der neuen Schwellenländer, Brasilien wächst, Indien wächst, auch Teile Afrikas. Künftig werden drei, vier Milliarden Menschen an diesem Industrialisierungsprozess beteiligt sein. Das sollte stufenweise geschehen, nicht durch Krieg, nicht durch Konflikte, sondern durch Dialog.

SPIEGEL: Und der Westen endet auf der Verliererspur?

Fu: Sie sind in Schwierigkeiten, aber Sie haben Schlimmeres als diese Wirtschafts-krise überstanden. Auch wir sind davon abhängig, dass Ihnen das gelingt. Ihre Verluste bedeuten ja nicht Gewinne auf unserer Seite. Wir sitzen in einem Boot. Wir sind wirklich besorgt, wenn die westlichen Wirtschaften in Schwierigkeiten sind. Deshalb sind es gute Nachrichten, dass Kanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy das Heft in die Hand nehmen wollen. Meine Kollegen und ich haben erst kürzlich über die Zukunft der Europäischen Union diskutiert. Wenn sie die Probleme angehen, wird es sicher nach vorn gehen, ansonsten wird die Euro-Zone kollabieren.

SPIEGEL: Was bedeutet es für China, wenn sich die Finanzkrise im Westen ausdehnt?

Fu: Alle werden leiden.

SPIEGEL: Für viele Beobachter hängt die Legitimation der chinesischen Regierung an ihrem wirtschaftlichen Erfolg. Müssen Sie im Fall einer Wirtschaftskrise um die Stabilität in Ihrem Land bangen?

Fu: Ändern westliche Regierungen das Mehrparteien-System, wenn es zu einer Wirtschaftskrise kommt? Wohl kaum. Warum sollen wir bangen? Wir sind mit unserer Reform erst auf halbem Weg, und wir machen weiter.

SPIEGEL: Der Westen glaubte lange, die Entwicklungen in China seien von Vorteil für alle Beteiligten. Inzwischen verfestigt sich selbst in internationalen Institutionen wie der Welthandelsorganisation der Eindruck, die Chinesen wollten die Gewichte in der Weltwirtschaft zu ihren Gunsten verschieben, wofür der dauerhaft unterbewertete Renminbi nur ein Beispiel ist.

Fu: China hat nicht die Absicht, die Welt zu regieren. Aber wenn Sie sich weiterhin als Zentrum der Welt betrachten, das ein Monopol auf die Wahrheit besitzt, werden Sie sich immer unbequem fühlen, denn es gibt verschiedene Werte und Kulturen. Auch wenn Sie glauben, den Kalten Krieg gewonnen zu haben: Der Kalte Krieg ist jetzt vorbei, Schluss, aus. Das ist eine neue Welt. Kommen Sie herunter von der Vorstellung, Sie säßen auf der Spitze der Welt. Reden Sie auf Augenhöhe mit uns.

SPIEGEL: Sie pflegen engste Beziehungen zu Staatsführern wie Kim Jong Il  in Nordkorea, dessen Volk hungert, weil er sich einer Öffnung verweigert, oder zu Nordsudans Präsident Umar al-Baschir, der wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit gesucht wird. Was ist Ihre Philosophie dahinter?

Fu: Unsere eigene Leidensgeschichte hat uns gelehrt, keinem Land etwas aufzwingen zu wollen. Wir sind ein ständiges Mitglied im Uno-Sicherheitsrat, wir haben Uno-Truppen im Sudan, 400 Soldaten. Wenn wir einen Staatsführer nicht mögen, haben wir aber doch nicht das Recht, uns in seine Regierung einzumischen, das führt zum Chaos. Denken Sie an Ihre eigenen nicht immer erfolgreichen Erfahrungen.

SPIEGEL: Sie meinen den Militäreinsatz in Ihrem Nachbarland Afghanistan.

Fu: Denken Sie darüber nach.

SPIEGEL: Sie schwächen doch insbesondere die Institution der Vereinten Nationen, indem Sie regelmäßig gemeinsame Erklärungen gegen Iran, Nordkorea oder Syrien, dessen Präsident Baschar al-Assad die Armee auf das eigene Volk schießen lässt, bis zur Wirkungslosigkeit abmildern. Wo endet Ihre Toleranz gegen Menschenrechtsverletzungen?

Fu: Im Fall von Iran geht es um die gesamte Sicherheitslage, deshalb haben wir dazu die 5-plus-1-Gespräche. Im Fall von Nordkorea gibt es Sechs-Parteien-Gespräche. Ich glaube, geduldige Diplomatie zahlt sich am Ende aus.

SPIEGEL: In Hinblick auf Iran könnte Geduld aber dazu führen, dass man am Ende das Rennen gegen die Zeit verliert.

Fu: Wir haben keine besseren Lösungen.

SPIEGEL: Wie sollen die Mächte China und USA angesichts solcher Meinungsunterschiede zusammenarbeiten bei globalen Herausforderungen wie Cyber-Sicherheit, Finanzsicherheit, Nahrungsmittelsicherheit und nuklearer Proliferation?

Fu: Wir müssen diese Mauer des Misstrauens überwinden. Uns nur von unseren eigenen Gefühlen oder Werten leiten zu lassen, wird zu großen Problemen führen. Ob es um Friedenseinsätze, um den Schutz der Schifffahrt vor Somalia oder um Klimaschutz geht, Sie werden in China stets einen engagierten Teilnehmer finden.

SPIEGEL: Wie fühlt es sich an, als neue Wirtschafts-Supermacht betrachtet zu werden?

Fu: Es schmeichelt einem.

SPIEGEL: Macht die Verantwortung Sie nicht auch nervös?

Fu: Gar nicht. Wir sehen uns nicht als Supermacht. Sie werden keine USA auf chinesischem Boden sehen und auch keine Sowjetunion. Sie werden ein kulturell reiches Land mit großer Bevölkerung sehen, zufriedener, glücklicher, zielbewusst und der Welt freundlich zugewandt. Machen Sie sich keine Sorgen um China. Dazu besteht kein Anlass.

SPIEGEL: Frau Ministerin, wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

(Das Gespräch führte die SPIEGEL-Redakteurin Susanne Koebl in Peking ,17.8.2011)

 

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