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Neuer Film:Richard Wilhelm und und das I Ging

2011-11-20
 
Anfang des 20. Jahrhunderts hat der Gelehrte Richard Wilhelm wichtige Grundlagen für die Verständigung Chinas mit dem Westen gelegt. Nun gibt es einen Film über ihn.
Wie kann das sein? Er war einer der größten Wissenschaftler, Übersetzer, Kulturvermittler, die diese Welt je gesehen hat – und kaum jemand kennt ihn. Richard Wilhelm wurde 1873 geboren, studierte Theologie, und ging 1899 als Missionar ins chinesische Qingdao. Am Ende verbrachte er fast ein Vierteljahrhundert in China.

In dieser Zeit taufte Richard Wilhelm keinen einzigen Chinesen – stattdessen tauchte er tief in die Geisteswelt seines Gastlandes ein. Und er begann, die klassischen Werke des antiken Chinas ins Deutsche zu übertragen: unter anderen Konfuzius, die daoistischen Klassiker, das Orakelwerk Buch der Wandlungen, bekannt im Westen auch als I Ging.

 

 

 

 

 

 

Richard Wilhelm ,der unbekannte Ost-West-Vermittler und seine Enkelin Bettina 

Mit seinen behutsamen Übertragungen ins Deutsche legte Wilhelm die Fundamente zur Verständigung zwischen China und dem Westen. Diesen Mann und sein Lebenswerk einer größeren Öffentlichkeit bekannt zu machen, ist also ein sehr löbliches Unterfangen. Bettina Wilhelm, die Enkelin dieses Mannes, hat nun einen Film über ihren Großvater gedreht, der noch vor ihrer Geburt, 1930, starb. Wandlungen – Richard Wilhelm und das I Ging nennt sie ihre Dokumentation und legt damit bereits fest, worauf sie sich konzentriert: auf das Orakelwerk Buch der Wandlungen.

Um Wilhelms Leistungen richtig zu würdigen, muss man bedenken, dass der Beginn seines Schaffens in der wilhelminischen Kaiserzeit lag, in einer Zeit, in der ein rauer, arroganter und rassistischer Ton gegenüber fremden Völkern herrschte. Wilhelm war nach China gekommen, um die Menschen in Qingdao (früher Tsingtau geschrieben) zu missionieren, einer seinerzeit kleinen Ortschaft am Meer auf der chinesischen Shandong-Halbinsel, die unter deutschem Kolonialmandat stand. Wilhelm erkennt jedoch, dass das Bild Chinas und der Chinesen in Deutschland grundfalsch ist.

Offen für Alltag und Mentalität

Er will nicht zwischen Christen und Heiden unterscheiden und beschließt, sich auf ein einfaches Leben nach christlichen Grundsätzen zu beschränken, mit den Menschen zusammenzuleben und ihnen innerlich nahe zu kommen. Seine Offenheit für Alltag und Mentalitäten schafft die Grundlage für sein zunehmend tiefes Verständnis Chinas. Zu Missionieren verträgt sich nicht mit dieser Lebenshaltung.

Er leitet eine Schule, an der auch chinesische Lehrer beschäftigt sind, und gründet eine Mädchenschule. Er erlebt mit seiner Familie die wirtschaftliche und gesellschaftliche Blüte der Kolonialstadt, aber auch den Schrecken jener Jahrzehnte, die für das Reich der Mitte zu einem epochalen Umbruch werden: den Boxeraufstand gegen die Kolonialherren und die Unruhen, die zur Revolution gegen das chinesische Kaiserhaus führen.

Insgesamt elf Jahre arbeitete Wilhelm an der besonders schwierigen Übersetzung des I Ging, dem Buch der Wandlungen. Seine Übertragung gilt bis heute als unübertroffen. Der Sinologe und Literaturübersetzer Wolfgang Kubin sagt über sie: "Selbst nach bald achtzig, neunzig Jahren erweist sich der Autor hier immer noch als Meister eines esoterischen Metiers, das wohl nie besser erklärt wurde." Dies sei kein Wunder, habe Wilhelm sich doch "diesen Urgrund der chinesischen Geistesgeschichte nicht nur von chinesischen Gelehrten auslegen lassen, sondern auch danach sein Leben aktiv zu gestalten gesucht."

Bettina Wilhelm versucht, all das Wissen in ihrem sehr persönlich anmutenden Dokumentarfilm anschaulich zu vermitteln. Sie besuchte unter anderem die Schule und das Wohnhaus der Wilhelms, in dem ihr Großvater Wilhelm an den chinesischen Klassikern arbeitete, und montiert historische Fotos und Filme neben aktuelle Aufnahmen von den China-Stationen ihres Großvaters, die sie aufgesucht hat. Man erfährt nicht nur einiges über das historische China zwischen 1900 und dem Beginn der 1920er Jahre, sondern auch, wo und wie es heute im Zeichen des Kapitalismus weiterlebt. Damit schafft die Filmemacherin wie nebenbei immer wieder Bezüge zu heute.

Zu wenig Experten

Natürlich lernt der Zuschauer ein paar Grundlagen zur chinesischen Philosophie, zum Orakelbuch I Ging und darüber, welche Möglichkeiten der Selbstreflektion und Selbsterkenntnis es bietet. So erläutert der für den Film befragte Historiker Richard J. Smith, wie man sein Leben nach Auffassung des I Ging ordnen kann. "Ordnung bedeutet nicht Starrheit", sagt er. Eine der wesentlichen Erkenntnisse des I Ging sei, "dass wir unsere Welt erst ordnen, um sie dann selbst zu bestimmen." Oder in anderen Worten: "In der geordneten Existenz steckt die Kapazität für unendlichen Wandel."

Neben Smith wurden für den Film noch der Sinologe Henrik Jäger, ein I Ging-Experte, befragt, sowie Sonu Shamdasani, der über C. G. Jung forscht und über die Begeisterung des Psychotherapeuten für Wilhelm spricht. Ausnehmend gut getan hätte es der Dokumentation jedoch, wenn mehr ausgewiesene Experten zu Wort gekommen wären, wie etwa der erwähnte Wolfgang Kubin. Es hätte dem Film über den arg engen Fokus auf nur ein Werk hinweghelfen können.

So erfährt man wenig über die Methode von Wilhelms Übertragungen ins Deutsche, die kunstvoll waren, aber nicht von allen geschätzt wurden. 1924 übernahm er als Nicht-Promovierter und im Hochschuldienst Unerfahrener an der Frankfurter Universität den ersten Lehrstuhl für Chinakunde. Prompt meldeten sich Missgünstige: Wilhelm sei nicht wissenschaftlich genug.

Oder welche Bedeutung es eigentlich hat, dass ausgerechnet die lange Zeit besonders weit verbreiteten Ausgaben der Wilhelm-Übersetzungen (jene aus Diederichs Gelber Reihe) nur gekürzte Fassungen waren und daher nicht authentisch.

Arbeit und Wirken Richard Wilhelms sind derart reichhaltig, das die Dokumentation mehr Zugänge zur Thematik hätte nutzen können. Die vermisst man nun.

(Quelle: Die Zeit, Autor: Steffen Richter)

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