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Botschafter Wu Hongbo zum Abschied:"Ich mag Bayern München sehr"

2012-06-24
 Der chinesische Botschafter Wu Hongbo verlässt Berlin, um Vizegeneralsekretär der UNO zu werden. TAZ fuehrte ein Gesraech mit ihm.

INTERVIEW ALEM GRABOVAC FOTOS AMÉLIE LOSIER

sonntaz: Herr Wu, gerade steckt hier wieder eine ganze Nation im kollektiven Fußballrausch. Mögen Sie Fußball?

Wu Hongbo: Die Fußballfans Chinas schauen am Wochenende Bundesliga und kennen die Ergebnisse sehr genau. Fußball ist mein Lieblingssport. In der Grund- und Mittelschule habe ich leidenschaftlich gern Fußball gespielt.

Auf welcher Position?

Ich war Stürmer.

Und? Waren Sie ein guter Stürmer?

Na ja, sagen wir es so: Ich war ein sehr mutiger Stürmer, der ab und zu mal ein Tor geschossen hat. Ich war jedenfalls immer ganz vorne.

Haben Sie in Deutschland einen Lieblingsverein?

Ich mag Bayern München sehr gern.

Sie waren seit 2009 chinesischer Botschafter, nun verlassen Sie das Land, um Vizegeneralsekretär der UNO zu werden. Welche der Vorurteile über Deutschland, die sie zu Anfang hatten, haben sich bestätigt und welche nicht?

In den deutschen Medien wird China sehr negativ beurteilt, und ich dachte, dass man Chinesen hier nicht mag. Diese Sorge von mir hat sich nicht bewahrheitet. Inzwischen habe ich fünfzehn Bundesländer bereist und wurde überall wirklich freundlich empfangen.

Gab es auch negative Überraschungen?

Bevor ich nach Deutschland kam, dachte ich, dass Deutschland ein hochmoderner Industriestaat mit einem sehr guten Dienstleistungssektor ist. In meiner Residenz im Grunewald war eine Leitung unter meinem Bad undicht. Die Arbeiter mussten dreimal kommen, bevor sie diese undichte Stelle reparieren konnten. Wir haben einen Internetzugang beantragt, und erst nach einem Monat wurden die Leitungen installiert. Und ich wollte eine andere Tür haben, und es hat mehr als einen Monat gedauert, bevor man mir diese neue Tür geliefert hat. All das wäre in China viel, viel schneller gegangen. Kurzum: Bereiche des deutschen Dienstleistungssektors haben mich enttäuscht. Aber ich möchte dennoch sagen, dass Deutschland ein ganz ausgezeichneter Staat ist und dass man, je länger man in diesem Land lebt, es umso mehr liebt.

In einer chinesischen Zeitung haben Sie sich beschwert, dass deutsche Journalisten nicht fair über China berichten. Die Artikel seien voller Vorurteile. Was meinen Sie konkret damit?

Als Botschafter verfolge ich natürlich intensiv die deutsche Medienberichterstattung über China. Mein Eindruck ist, dass manche deutschen Journalisten über China mit ideologischen Vorurteilen berichten.

Noch etwas genauer, bitte.

Diese Ideologie ist noch von dem Denkmuster des Kalten Krieges geprägt und lautet: Alle sozialistischen Staaten sind böse. In den Berichten von diesen Journalisten ist China ein dunkles und diktatorisches Land. Und außerdem sind da diese dummen Vorurteile. Als ein deutscher Minister wegen Abschreiben zurücktreten musste, schrieb ein Journalist, die Chinesen seien jetzt wütend, da sie doch das Patent zum Kopieren besitzen. China ist jedoch bei der Patentanmeldung die Nummer zwei in der Welt und hat ein eigenes Interesse daran, geistiges Eigentum zu schützen. Und bei der Ehec-Epidemie hat man in Deutschland berichtet, dass die bösen Sprossen aus China kommen würden. Ich könnte Ihnen noch viele dieser Fälle aufzählen. Es wird ein falscher Eindruck von China in den deutschen Medien vermittelt. China ist ein fröhliches, aufgeschlossenes, modernes, buntes Land. Ich würde mir wünschen, dass man über China sachlich und fair berichten würde.

Lassen Sie uns einen kurzen Moment lang Völkerverständigung versuchen. Mit welchen drei Eigenschaftswörtern würden Sie einem Deutschen die chinesische Mentalität beschreiben?

Fleißig, bescheiden und tolerant.

Und mit welchen würden Sie einem Chinesen die deutsche Mentalität erklären?

Fleißig, diszipliniert und gewissenhaft.

Was kann China von Deutschland lernen?

Die große Innovationsfähigkeit dieses Landes in Kultur, Sport und Wirtschaft imponiert mir.

Und was kann Deutschland von China lernen?

Die Bescheidenheit. Wir sind immer der Auffassung, dass die anderen mehr wissen. Alle Menschen sind gleich, und man sollte sich nicht als Lehrmeister aufspielen.

Die Botschaftsmitarbeiter auf der Stuhlreihe am Rand nicken zustimmend. Als ich gerade den letzten Schluck aus meinen Tasse genommen habe, öffnet der Kellner die Tür, kommt zu uns und schenkt mir nach.

Gleichheit ist auch ein Grundwert des Sozialismus. Aber auch im China gibt es eine Kluft zwischen Arm und Reich und inzwischen Unternehmer, die mit ihren Geschäften Millionäre geworden sind. Was ist daran noch sozialistisch?

Dass es Unterschiede zwischen Land und Stadt, zwischen Arm und Reich gibt, daran kann man sehen, dass wir noch am Anfang unserer Entwicklung stehen. Wir haben in China seit dreißig Jahren, seit dem Beginn der Reformzeit, 500 Millionen Menschen aus der Armut befreit. Wir haben die Agrarsteuer abgeschafft und die kostenfreie Schulpflicht eingeführt. 99 Prozent der Bevölkerung haben eine Krankenversicherung. Meines Erachtens sollten Personen, die durch ihre harte Arbeit reich geworden sind und dabei die Gesetze eingehalten haben, respektiert und geschützt werden.

Aber widerspricht das nicht der Idee des Sozialismus von der Umverteilung?

Das ist ein Phänomen der Übergangsphase. Aus verschiedenen Gründen sind wir im Augenblick noch nicht in der Lage, für alle denselben Reichtum zu ermöglichen. Es gibt ein Sprichwort in China: Mit einem Schluck kann man doch nicht dick werden. Wir bemühen uns darum, dass in Zukunft alle Chinesen vom wirtschaftlichen Erfolg profitieren. Aber dafür brauchen wir noch ein wenig Zeit. China ist natürlich immer noch ein sozialistischer Staat. Wenn eines Tages die westlichen Journalisten das chinesische Gesellschaftsmodell nicht mehr kritisieren würden, erst dann wäre das Gesellschaftsmodell in China nicht mehr sozialistisch.

Vielleicht ist die Kritik von außen auch so stark, weil Kritik von innen unterbunden wird? Schlagzeilen machten die Inhaftierung des Künstlers Ai Weiwei und des Menschenrechtsaktivisten Chen Guangcheng. Vor was fürchtet sich die Kommunistische Partei?

In China gibt es 500 Millionen Internetnutzer und mehr als 300 Millionen Blogger. Es gibt jeden Tag Empfehlungen, Kritik und sogar harte Verurteilungen gegenüber der Arbeit der Regierung. Aber die Meinungsfreiheit muss auch eine Grenze haben, und diese Grenze sind die Gesetze. Das gilt in Deutschland, und das gilt auch für China.

Gut, aber Chen Guangcheng hat ja nur die Ein-Kind-Politik kritisiert. Wo ist da der Gesetzesbruch?

Chen Guangcheng wurde bestraft, weil er öffentliche Regeln gebrochen hat. Wenn er nichts gegen das Gesetz getan hätte, wäre er auch nicht bestraft worden. Die chinesische Regierung wird vom chinesischen Volk unterstützt. 2010 hat ein Institut eine weltweite Umfrage zur Unterstützung der jeweiligen Bevölkerung für ihre Regierungen durchgeführt. Das Ergebnis war, dass 87 Prozent aller Chinesen zufrieden mit ihrer Regierung sind. Eine Partei mit einer Unterstützungsrate von 87 Prozent hat also keine Angst und braucht auch nichts zu befürchten.

Wu Hongbo wird ernster, wirkt wachsam. Chen Guangcheng wurde erstmals 2006 wegen "Beschädigung öffentlichen Besitzes" und "Beeinträchtigung des Straßenverkehrs durch Massenveranstaltungen" zu vier Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Menschenrechtsorganisationen kritisierten das Gerichtsverfahren und den Umgang mit ihm und seiner Frau. Nun hat Wu seine Tasse ausgetrunken, und die Tür öffnet sich wieder. Der Kellner.

Bei Zustimmungsraten von 87 Prozent dürfte es für die Kommunistische Partei kein Problem sein, eine Opposition zuzulassen.

Wir nehmen die Gesetze als Richtschnur, und wenn die Taten die Gesetze nicht überschreiten, kann jeder seine Kritik äußern.

Können Sie sich vorstellen, dass es in China in zwanzig oder dreißig Jahren eine Demokratie nach westlichem Modell mit einem Mehrparteiensystem und freien, fairen Wahlen gibt?

Darf es denn neben dem westlichen demokratischen System kein anderes System geben? Jedes politische System muss den Gegebenheiten des Landes entsprechen. Wir sind gerade tastend dabei, die zukünftige Entwicklung für das politische System in China herauszufinden. In den ländlichen Regionen wählen die Dorfbewohner ihren Bürgermeister. Vor der Ernennung von Führungspersönlichkeiten wird dessen Name und Lebenslauf im Internet, in den Zeitungen und im Fernsehen veröffentlicht. Jeder Bürger kann dann seine Meinung oder Kritik zu dieser Person äußern. Wenn diese Person negativ beurteilt wird, dann wird die Ernennung verschoben oder ganz gestrichen. In vielen Ministerien werden die Stellen nur durch eine Kampfkandidatur mehrerer Personen vergeben. Wir sind voller Zuversicht, dass wir in der Zukunft ein eigenes demokratisches System finden werden, das unserem Land gerecht wird.

Weshalb gab es in diesem System in China noch nie eine Außenministerin, eine Staatspräsidentin oder eine Regierungschefin?

Für die Führung eines Staats ist nicht das Geschlecht, sondern die Fähigkeit einer Person und die Unterstützungsrate für sie entscheidend.

Na ja, aber weswegen sitzen in der Führung dann nur Männer?

In der Tat stimmt diese Beobachtung für die Regierungsspitze. In der Zentralregierung als auch in den Provinzen besetzen jedoch jetzt schon sehr viele Frauen führende Positionen. Und ich bin mir ganz sicher, dass wir in der Zukunft auch Frauen in den wichtigen Machtpositionen sehen werden.

Schon wieder der Kellner. Dies alles folgt einem unsichtbaren System. Der frische Tee kommt immer wenige Sekunden, nachdem jemand von uns seine Tasse leer getrunken hat. Gibt es hier Kameras? Sitzt der Mann mit der Fliege im Nebenzimmer vor einem Bildschirm und beobachtet, wie der Teespiegel sinkt?

Herr Wu, was bedeutet für Sie Heimat?

Ein warmer Hafen voller schöner Erinnerungen.

Sie sind, ebenso wie Konfuzius, in der Provinz Shandong aufgewachsen. Sind Sie ein Anhänger der konfuzianischen Lehre?

Meine Heimatstadt ist nur 58 Kilometer entfernt von Konfuzius' Geburtsort. In Konfuzius' Lehre sind viele klassische Wertvorstellungen Chinas zu finden. Über die Planung der staatlichen Finanzen lautet ein Satz des Konfuzianismus: Man soll nur so viel ausgeben, wie man einnimmt. Diese Formulierung findet auch ganz aktuell ihren Sinn. Ein anderer Satz von Konfuzius lautet: Was man für sich selbst nicht erwünscht, sollte man auch anderen nicht antun. Konfuzius' Lehre hat China über 2.000 Jahre stark beeinflusst.

Haben Sie eine Lieblingsweisheit des Konfuzius?

Ein Satz hat mich besonders stark beeindruckt: Lernen ohne Denken ist vergebliche Mühe, und Denken ohne Lernen ist gefährlich. Eine einfache Formulierung mit tiefer Bedeutung.

Für einfache Formulierungen mit tiefer Bedeutung bewundern viele Menschen im Westen den Dalai Lama. Weshalb ist er für China ein Staatsfeind?

Vor 1959 war der Dalai Lama der größte Besitzer von Leibeigenen in Tibet. Er ist ein Nutznießer und Verteidiger des theokratischen Systems, das auch im Westen schon längst aufgegeben wurde. Er hat immer noch das Ziel, Tibet von China abzuspalten. Und außerdem fordert er ein Großtibet mit Teilen der angrenzenden Provinzen. Aber für diese Forderung gibt es weder eine historische noch eine rechtliche Grundlage. Er hat aus der Exilregierung heraus ebenfalls tibetische Spione nach China geschickt, die dort Attentate verübt haben. Der Dalai Lama betrachtet das chinesische und tibetische Volk sowie die chinesische Regierung als seinen Feind und nicht umgekehrt.

Wu Hungbo holt eine Karte hervor, die, wie er sagt, Großtibet zeige und von der Webseite des Dalai Lamas stamme. Aus dem zugesandten Fragenkatalog wusste er, dass ich nach Tibet fragen werde und hat diese Einlage vorbereitet. Er reicht mir das Papier. Der Botschaftsfotograf ist schon aufgesprungen und steht bereit, um die Übergabe zu fotografieren.

Wenn sich Tibeter aus Protest gegen die chinesische Herrschaft verbrennen, kann doch nicht alles in Ordnung sein.

Viele dieser Opfer von Selbstverbrennungen sind sehr junge Menschen. Sie tun mir leid. Ich glaube, das hat etwas mit diesem theokratischen buddhistischen System zu tun, das sich in weltliche Dinge einzumischen versucht. Dieses System muss überwunden werden.

An was glauben Sie, Herr Wu?

Ich glaube daran, dass man die Wahrheit in den Tatsachen suchen sollte.

Und was gehört für Sie zu einem gelingenden Leben?

Mancher glaubt, wenn man reich sei, wäre das Leben gelungen. Ein anderer sieht eine hohe Machtposition als Erfolg. Für mich persönlich ist es die größte Befriedigung, meine eigenen Fähigkeiten für die Entwicklung meines Vaterlands einzusetzen und eingesetzt zu haben.

Im wohne in Berlin-Prenzlauer Berg, wo es zwei deutsch-chinesische Kindergärten gibt. Vor Kurzem habe ich einen Sohn bekommen - was spricht dafür, ihn dort anzumelden?

Ich rate ihnen dazu. Erstens: Die chinesische Sprache ist eine der sechs Arbeitssprachen der Vereinten Nationen. Zweitens: Ein Fünftel der Weltbevölkerung spricht Chinesisch. Und drittens lernen inzwischen weltweit 50 Millionen Menschen Chinesisch. Kurzum: Wer Chinesisch spricht, wird in der Zukunft größere Lebenschancen haben.

(Quelle:taz 30.5.2012)
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