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Bis zur Welt kann es drei Stunden dauern

2010-05-07
 

Von Till Fähnders

Am Eröffnungswochenende der Expo in Schanghai üben sich die Chinesen im Schlangestehen

SCHANGHAI, 2. Mai. Der Urlauber aus Chongqing ist enttäuscht. Mit Frau und Kind ist er aus der südwestchinesichen Stadt nach Schanghai gereist, um die erste Weltausstellung auf chinesischem Boden zu erleben. Doch aus dem für den Anfang geplanten Besuch des riesigen chinesischen Pavillons wird nichts. „wir haben keine Reservierung, deshalb werden wir nicht reingelassen",sagt der Familienvater. Über ihm ragt der rote Bau in die Höhe, wie eine umgedrehte Pyramide sieht er aus, er ist 63 Meter hoch und an den Ecken verziert. Nun gibt es wenigstens ein Erinnerungsfoto der Kleinfamilie davor. Das Gebäude ist schon jetzt zum Symbol für den Stolz der Chinesen auf ihren Aufstieg geworden. Es ist das am meisten fotografierte Gebäude der Weltausstellung.

„So etwas gab es noch nie zu sehen", sagt eine Chinesin, die gerade aus dem Pavillon kommt. Im Inneren illustrieren Exponate mehrere tausend Jahre chinesischer Geschichte. Auch eine 100 Meter lange Projektion des berühmten traditionellen Gemäldes „Fluss-Szene zum Qingming-Fest" wird gezeigt. Hinein kam allerdings nur, wer sich rechtzeitig angemeldet hat. Das Projekt „Schlangestehen" hatte am Samstag nach der offiziellen Eröffnung des Expo-Geländes begonnen. 204 000 Besucher drängelten sich vor den Pavillons, am Sonntag wurden es noch einmal ähnlich viele. Das ist noch weit von den 400 000 entfernt, die eigentlich erwartet worden waren, aber dennoch mussten die Expo-Besucher nicht selten zwei bis drei Stunden ausharren. Wie es hieß, standen am ersten Tag allein vor dem Schweizer Aussstellungshaus zu jeder Zeit durchschnittlich 7600 Wartende. Der Schweizer Pavillon ist besonders begehrt, weil die Expo-Gäste mit einem Sessellift fahren können. Auch der gegenüberliegende deutsche Pavillon gehörte schon zu den beliebtesten der Expo. „Ich bin überrascht, dass er schon am ersten Tag so gut angekommen ist", sagt der Generalkommissar Dietmar Schmitz. Die chinesischen Besucher beschäftigten sich intensiv mit den Ausstellungsstücken, fassten alles an und versetzten eine zwei Tonnen schwere Kugel durch lautes Rufen in Bewegung. Die Exponate werden so in den kommenden sechs Monaten täglich einem Härtetest unterzogen. „Ich musste einfach zuallererst in den deutschen Pavillon, schließlich lebt meine Tochter seit Jahren in Deutschland", sagte eine Frau aus Schanghai. „Ich habe dafür zwei Stunden gewartet." Unter dem Titel „ Balancity" beschäftigt sich der 50 Millionen Euro teure deutsche Auftritt mit der „Stadt im Gleichgewicht". Das Ausstellungskonzept ist erstaunlich gut aufgegangen. Für die Chinesen ist die Expo vor allem eine Gelegenheit, fremde Länder kennenzulernen, ohne weit reisen zu müssen. Am besten kommt deshalb das touristische Angebot an. Fast keiner ließ sich den Schnappschuss mit einem als „König Ludwig" und „Sissi" verkleideten Paar vor einem Bild mit dem Schloss Neuschwanstein entgehen. Im zugehörigen deutschen Restaurant verspeisten die Chinesen Schweinshaxen, Knödel und Sauerbraten.

Auf der Expo in Schanghai erinnert vieles an einen Themenpark –doch den meisten Chinesen ist es genau so recht. Schließlich stellen sie den Großteil der erwarteten 70 Millionen Besucher bei der Expo, die unter dem Motto „Bessere Stadt, besseres Leben" bis zum Oktober dauert. Die Regierung hatte die Ausstellung am Freitag mit einer süßlich-bunten Zeremonie und einem gewaltigen Feuerwerk über dem Fluss Huangpu eröffnet, ebenfalls ganz so, die es der chinesischen Lust an Kitsch und Gigantismus entspricht. Auf der Bühne wechselten sich hübsche Chinesinnen in Glitzerkleidern mit bunt verhüllten Angehörigen der nationalen Minderheiten und einheimischen Stars ab.

Der Generalsektär des internationalen Expo-Büros, Vincente Gonzalez Loscertales, begrüßte das Publikum in gebrochenem Chinesisch. Er wurde dafür mit großem Beifall belohnt. Neben Chinas Staats- und Parteichef Hu Jintao saßen bei der Feier in den vordersten Reihen die 20 Ehrengäste aus dem Ausland, unter ihnen viele Staats- und Regierungschefs. EU-Kommisionspräsident Barroso war da, der südkoreanische Präsident Lee Myungbak und der nordkoreanische Parlamentschef Kim Yong-nam. Ein wenig Flair brachten außerdem Frankreichs Präsident Sarkozy und seine Frau Carla in den Saal.

Den ausländischen Besuchern hatte Staats- und Parteichef Hu Jintao zuvor eine „großartige und unvergessliche" Expo versprochen. Doch bei Temperaturen von bis zu 30 Grad und stundenlangem Warten wurde sie schon in den ersten beiden Tagen für manche zur Tortur. Dabei hat der brütend heiße Schanghaier Hochsommer noch gar nicht begonnen. Einige Besucher wurden denn auch ungeduldig. Sie lieferten sich Wortgefechte mit den Mitarbeitern der Pavillons. Viele Besucher suchten Schutz unter mitgebrachten Sonnenschirmen. Andere ließen sich mit Plastiktüten und Zeitungen im Schatten von Brücken nieder. Die besonders gut Vorbereiteten falteten dort ihre Klappstühle auf, und manche hielten zwischendurch auf dem Boden einfach ein Nickerchen.

(Quelle: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 03.05.2010)

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