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Karrierechancen in China

2013-03-15

Längst zieht es nicht mehr nur Abenteurer und Glücksritter nach China. Das Reich der Mitte braucht gut qualifizierte Fachleute. Deutsche haben dabei besonders große Chancen. Von Nina Trentmann

Zu Hause? Da wartet nicht viel. Die Modefirma, die sie mit ihrer Schwester führt, läuft nicht mehr, wegen der schlechten wirtschaftlichen Lage bleiben die Kundinnen weg. Schweren Herzens macht Hadas Zucker ihr Unternehmen in Tel Aviv zu. Was nun? Für ihre Schwester ist die Sache klar. Sie hat zwei kleine Kinder und kann nicht mal eben weggehen, dorthin, wo vielleicht Arbeit zu finden ist.

Doch Hadas hat keine Kinder und nicht viel, das sie in Israel hält. Zu lange schon ärgert sie sich darüber, dass die Stimmung im Land zunehmend schlechter wird, dass so viele ihrer Freunde den Kopf in den Sand stecken.

Als die Firma, die damals die Kleidung für ihr Modelabel nähte, sie einlädt, nach China zu kommen, springt Hadas sofort an. "Das klang super! Ich hatte ja nichts zu verlieren. Warum also sollte ich es nicht in China versuchen?" Die Israelin sagt ihrem Freund Goodbye und steigt ins Flugzeug. Ab nach Shanghai.

Keine Begeisterung in München

Das war vor einem halben Jahr. Hadas Zucker hat inzwischen einen neuen Job bei einer Designfirma. Die Entscheidung, nach Shanghai zu gehen, hat sich als die richtige herausgestellt. "In Israel wäre ich heute noch immer auf der Suche, wäre wahrscheinlich total frustriert", sagt sie.

Andrew Wong ist aus einem ähnlichen Grund nach China gekommen. Der 35-Jährige, ein Australier mit chinesischen Wurzeln, lebte über acht Jahre in Deutschland, in einem kleinen Ort in der Nähe von München, mit Frau und Sohn, einem Haus und einem Job als Industriedesigner. "Es fehlte einfach die Motivation und die Begeisterung. Ich hatte den Eindruck, das kannte ich doch schon alles."

Er ist sportlich, hat kinnlanges, braunes Haar, ein kreativer Typ, den das beschauliche München langweilte. "China hatte eine ungeheure Anziehungskraft", sagt Wong und rührt in seinem Kaffee. An diesem Morgen sitzt er im "Amokka", einem angesagten Café im ehemaligen französischen Viertel in Shanghai. Um ihn herum: junge Leute, Ausländer, aber auch Chinesen, einige mit Kindern, eine bunte Mischung.

"Hier in China passierte so viel, es wurde so viel entworfen – und ich saß in Deutschland", sagt er. Wong kündigte seinen Job und zog nach Shanghai, "ein großartiges Gefühl: zu gehen, ohne ein Backup zu haben." Seit August 2012 lebt er in der 23-Millionen-Metropole an der chinesischen Ostküste, arbeitet als Freelancer und genießt seine Freiheit. Frau, Kind und Haus ließ er in Deutschland zurück.

Ohne Familie in die Fremde

Mit diesem Gefühl – diesem "da muss doch noch mehr kommen" – sind Hadas Zucker und Andrew Wong in Shanghai nicht allein. Mehr und mehr junge Europäer und Amerikaner strömen in die Stadt. Sie alle glauben, dass in der boomenden Volksrepublik die interessanteren Möglichkeiten auf sie warten; dass sie besser in Shanghai oder Beijing arbeiten, als arbeitslos oder frustriert in ihren Heimatländern zu sitzen und zu warten.

Angesichts der Krise in Europa hat sich dieser Trend noch verstärkt: So steigt die Zahl der Deutschen in China seit Jahren kontinuierlich, auf derzeit mehr als 20.000, wie das chinesische Meldeamt PSB angibt. Über 4800 Ausländer haben der Weltbank zufolge 2011 einen dauerhaften Aufenthaltstitel für China bekommen, auch das ist eine steigende Zahl.

Anders als vor zehn oder zwanzig Jahren sind es heute nicht mehr nur die Abenteurer, die nach China strömen; nicht nur die, die es zu Hause nicht geschafft haben oder die sich nirgendwo anpassen wollten, es sind gut ausgebildete Ingenieure, Designer, Grafiker, Juristen und Geschäftsleute. Zunehmend kommen sie direkt nach der Uni, wartet doch in Krisenländern wie Spanien, Portugal oder Griechenland nach dem Abschluss oft nur die Arbeitslosigkeit.

"Deutsche und amerikanische Absolventen finden in China zunehmend attraktive Arbeitsbedingungen vor", sagt Oliver Koppel, Ökonom beim Institut der deutschen Wirtschaft in Köln. "Der Arbeitskräftebedarf hat sich radikal verändert. Bis vor wenigen Jahren hat man eher gering qualifizierte Arbeitskräfte gebraucht. Shanghai bietet dagegen heute für Ingenieure, Biotechnologen und Wirtschaftswissenschaftler gute Beschäftigungsmöglichkeiten", so Koppel.

One-Way-Ticket nach Shanghai

Das gilt vor allem für Bewerber aus Deutschland, ist doch die deutsche Wirtschaft eng mit der chinesischen verbunden. "Besondere Attraktivität erwirbt man natürlich für die vielen westlichen Industrieunternehmen in China", weiß Koppel. Allein in Shanghai und Umgebung leben inzwischen mehr als 11.000 Deutsche.

Die Berlinerin Eike Stratmann (34) lebt mit ihrem Mann seit vier Jahren in Shanghai. Sie ist Herausgeberin der "Shanghai Art Map", einem Führer durch die Kunstszene der Millionenmetropole. "Shanghai ist schon eine Durchgangsstation. Viele bleiben für zwei, drei Jahre und gehen dann wieder", sagt Stratmann. "Das ist schade. Ich habe Freunde hier und lerne viele neue, spannende Leute kennen, weiß aber schon in dem Moment, in dem wir Nummern austauschen, dass er oder sie vielleicht schon vor mir wieder geht." Freundschaften würden deshalb auch oberflächlicher bleiben. Erst kürzlich hat sich eine ihrer Freundinnen, eine Deutsche, in die USA verabschiedet.

Doch auch aus Amerika kommen angesichts der zunehmenden Bedeutung Chinas für die Weltwirtschaft viele unternehmungslustige Fachleute. Eine davon ist Alison Watts. Die 30-Jährige lebte vor drei Jahren noch in New York und arbeitete für Bertelsmann. Unterschwellig schien sie zu ahnen, dass sich etwas ändern würde: "Eine Freundin von mir war kurz vorher nach Shanghai gezogen und auch ich spielte mit dem Gedanken."

Von New York nach China

Ein paar Tage später wurde ihr gekündigt. "Das war wie ein Zeichen", sagt Watts, eine schmale junge Frau mit langen, blonden Haaren. "Ich kaufte mir ein One-Way-Ticket und flog los." Heute arbeitet sie bei ICS, einem chinesischen Fernsehsender, und verantwortet eine Kultursendung. Ihren Erfolg schreibt sie vor allem der Stadt zu. "Ich habe das Gefühl, dass hier noch mehr möglich ist als in etablierten Städten wie New York, Paris, Tokio oder Hongkong", sagt sie.

Auch für Ilias Tsiantis waren die Aussichten zu Hause trübe. Der Grieche arbeitete in einer Firma in Athen. Obwohl die Geschäfte einigermaßen liefen, sorgte sich der Angestellte um seine Zukunft. Zu unsicher schien es ihm, im hoch verschuldeten Griechenland zu bleiben. "In meinem Land gibt es keinen richtigen Plan für die Zukunft. Der der Weg führt direkt in die Stagnation."

Für einen jungen Mann sei das aber keine Perspektive. Der 35-Jährige kündigte und ging nach Shanghai, wo er seine eigene Firma aufmachte. Tsiantis handelt jetzt mit griechischen Speisen in China.

Für Hadas, Andrew, Ilias und Alison hat sich der Umzug nach Shanghai gelohnt. Sie alle sind heute zufriedener als sie es zuvor waren. Dafür nehmen sie Nachteile in Kauf: Sie verdienen weniger als in ihren Heimatländern, sind getrennt von ihren Familien, schaden ihrer Gesundheit.

Charlie Mathews, ein Absolvent des renommierten Imperial College in London, findet es okay, in China weniger zu verdienen. Er arbeitet bei einer NGO, einer so genannten Nichtregierungs-Organisation, die sich für eine nachhaltigere Industrialisierung Chinas einsetzt. "Die Lebenshaltungskosten hier sind geringer als in London", sagt der 25-Jährige. "Es ist ein persönliches Investment, um einen Wettbewerbsvorteil zu erlangen." Keiner seiner Kommilitonen aus London ist mit nach China gekommen.

Abwarten in Griechenland oder durchstarten in China

Mathews hofft, dass das noch eine Weile so bleibt und er mit seiner Erfahrung im Reich der Mitte punkten kann, wenn er einmal nach Großbritannien zurückkehrt. Alison Watts verdient in China ebenfalls deutlich weniger als das, was sie in den USA bekam, es sind knapp 2000 Euro im Monat. "Das ist nicht viel, das stimmt", sagt sie. "Aber in New York wäre ich vielleicht arbeitslos."

Auch Ilias Tsiantis bleibt realistisch: "Es ist kein Ponyhof ", sagt der Grieche. "Wir alle nehmen ein Risiko in Kauf." Dennoch: wenn er die Nachteile und die langfristigen Vorteile abwägt, überwiegen für ihn die Vorteile. "In Griechenland zu bleiben und zu warten wäre auf Dauer viel gefährlicher gewesen", sagt er.

Alison Watts war ebenfalls bereit, ein Risiko einzugehen, um nach China zu kommen: "Ich war nie zuvor dort gewesen, kannte einen, der dort lebte und war per Email in Kontakt mit zwei weiteren. Das ist nicht gerade viel." Vor ihrem Umzug meldeten sich leise Zweifel: "Eines Freitags abends saß ich in meinem Zimmer in New York und überlegte, was würde ich wohl Freitags abends in Shanghai tun?"

Heute weiß sie, dass man auch in Shanghai Freitags abends nett ausgehen kann. "So anders ist es dann doch nicht", sagt sie und lacht. Aber sie denkt auch manchmal ans Zurückgehen. Nur wann? "Heute war ich zum Brunch verabredet, wir haben in der Sonne ein Bier getrunken. An Tagen wie diesen ist es schlicht unvorstellbar, zu gehen."

(Quelle: Welt.de, den 15. März)

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